Sunday, July 5, 2020

Kommentar: Der deutschen Wirtschaft geht es besser als gedacht – aber noch lange nicht gut - Handelsblatt

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Schiffe werden im Duisburger Containerhafen beladen

Sofort nachdem die Corona-Beschränkungen gelockert wurden, hat sich die Wirtschaftsstarre gelöst.

(Foto: dpa)

Nach dem beispiellosen Absturz infolge des Lockdowns überrascht die Wirtschaft in Deutschland und Europa mit einer kräftigen Erholung. Alle Frühindikatoren Ende Juni und in den ersten Julitagen signalisieren: Es geht aufwärts, und das viel schneller, als sogar die Optimisten unter den Ökonomen erwartet hatten.

Sofort nachdem die Beschränkungen gelockert wurden, hat sich die Wirtschaftsstarre gelöst. Nach den ersten beiden Rezessionsquartalen dieses Jahres wird das zweite Halbjahr wieder Wachstumsraten zu den Vorquartalen zeigen. Davon sind die Konjunkturforscher trotz aller Unsicherheiten über den weiteren Pandemieverlauf einmütig überzeugt.

Der Wirtschaft geht es in diesem Sommer also deutlich besser als im April und Mai. Aber gut geht es ihr noch lange nicht. Auch darüber sind sich die Experten relativ einig. Es wird wohl noch viele Monate dauern, bis die deutsche Wirtschaft zu alter Stärke zurückkehren wird. Zu zerstörerisch war der tiefste Absturz des Bruttoinlandsprodukts seit Bestehen der Bundesrepublik. Und zu uneinheitlich verläuft die Erholung.

Während der Einzelhandel – außer den Modeläden in Innenstädten – nach amtlichen Zahlen seine Verluste großenteils aufgeholt hat, wird die Industrie noch lange unter den Krisenfolgen leiden. Zwar funktionieren die anfangs unterbrochenen Lieferketten wieder, dafür fehlt nun die Nachfrage aus aller Welt.

War es nach der Finanzkrise ab dem Rezessionsjahr 2009 China, dessen Konjunkturprogramm die deutsche Wirtschaft aus der Rezession zog, ist die Lage heute eine völlig andere: China bestellt bei sich selbst, die USA versinken in der zweiten Coronawelle, und Großbritannien schlingert in die Brexitflaute.

Immerhin helfen sich gerade die europäischen Volkswirtschaften in ihrer nun wieder reisefreien Verflochtenheit gegenseitig aus dem Konjunkturtal. Den gesamten Weltmarkt aber kann Europa der deutschen Exportwirtschaft nicht ersetzen. Zur Vor-Coronazeit bleibt eine Lücke – nur wie groß diese ausfällt, ist unklar.

Hinzu kommt: Die große Stärke der deutschen Industrie verwandelt sich gerade in eine Schwäche. Hochspezialisierte Maschinen sind auf dem Weltmarkt derzeit nicht gefragt. Denn die Produzenten haben Probleme, ihre Fabriken auszulasten.

Lektion: Wirtschaft braucht Gesundheit

Bis bei ihnen Bedarf nach neuen Anlagen entsteht, dürfte einige Zeit vergehen. Besonders schlecht ist das für den Maschinenbau, aber auch die Vorzeigebranchen Auto, Chemie, Elektrotechnik sind noch weit entfernt von ihren Vor-Corona- Verkaufszahlen.

Bleibt als wichtigste Stütze für die deutsche Konjunktur vor allem der hiesige Binnenmarkt. Die Mehrwertsteuersenkung hat anscheinend bereits vor ihrer Einführung die Einkaufsbereitschaft kräftig angeschoben, das Konjunkturpaket Vertrauen erhalten. Kurzarbeit und Überbrückungshilfen für Firmen haben einen drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit bisher verhindert.

Das Virus ist noch da, wie lokale Infektionsausbrüche nicht nur in Gütersloh zeigen. Für Reisen, größere Veranstaltungen und die Gastronomie werden Einschränkungen bleiben, solange es keinen Impfstoff oder wirksame Medikamente gegen Covid-19 gibt. Mit der zweiten Coronawelle in den USA lässt sich beobachten, wie das Leben in den freiwilligen Lockdown geht, selbst wenn nicht zentral verordnet.

Das verursacht exakt den gleichen Schaden für die Wirtschaft, wie sie amtliche Ausgehverbote in der ersten Welle ausgelöst hatten. Zu den Lernerfahrungen dieser Krise gehört auch: Wirtschaft braucht Gesundheit, um ungehindert wachsen zu können.

Es hat sich in den vergangenen Wochen gezeigt, dass Reisen, dass Begegnungen nicht nur für Tourismus oder Restaurantbetreiber essenziell sind, sondern für das gesamte Wirtschaftsleben. Gerade die hochspezialisierte Exportwirtschaft erlebt, dass sie den persönlichen Kontakt zu ihren Kunden braucht, um ihre Produkte zu erklären.

Um diese dann vor Ort zu installieren, müssen die Spezialisten dorthin reisen. Und Schulung von Beschäftigten via Webinar funktioniert ebenfalls nur äußerst begrenzt. Sogar in der Digitalbranche stellen die Beschäftigten fest, dass ihnen, verstreut auf ihre Homeoffices, nach ein paar Wochen die kreativen Ideen ausgehen.

Die Anpassungsbereitschaft zählt

Im Leben mit dem Virus scheint die Rückkehr zur 100-Prozent-Wirtschaft von Vor-Corona also ziemlich illusorisch zu sein. Auch wenn die deutsche Wirtschaft im Vergleich zum Vorquartal wieder wächst, im Jahresvergleich schrumpft sie noch immer.

Nach dem Anfangsaufschwung des Sommers sind im Herbst in Deutschland mehr Insolvenzen und mehr Arbeitslose wahrscheinlich, die Erholung dürfte sich verlangsamen. Wie sehr, hängt auch von der Wirtschaftserholung weltweit ab. Die Prognose- und Diagnose-Unsicherheit ist enorm: Eine weltweite Rezession dieses Ausmaßes hat es in der Wirtschaftsgeschichte noch nie gegeben.

Wie lange der Wiederaufstieg dauert, wird auch von der Anpassungsbereitschaft vieler Firmen und ihrer Kunden abhängen. Umbauarbeiten für ansteckungsfreie Begegnungen wird es in großem Stil geben müssen.

Flughäfen, Bahnhöfe, Flugzeuge, Busse und Bahnen, Büros, Restaurants und Produktionsstätten müssen Platz bieten zum Abstandhalten – und im Winter, wenn Begegnungen nur in geschlossenen Räumen stattfinden, eine virenfreie Belüftung. Zu viele verlassen sich auf die Entwicklung eines Impfstoffes, von dem niemand weiß, ob und wann er kommt.

Mehr: Die Wirtschaft wacht auf – der Aufschwung beginnt




July 05, 2020 at 06:09PM
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