Birgit Flemming (vorne) leitet die Suchtberatungsstellen in Rotenburg, Bremervörde, Zeven und Visselhövede. Hinten von links: Carmen Menzel (Gesundheitsamt), Dezernentin Heike von Ostrowski sowie Thomas Hempel, Geschäftsführer der Therapiehilfe gGmbH. (Johannes Heeg)
Landkreis Rotenburg. Drogen und Suchtmittel verursachen in Deutschland erhebliche gesundheitliche, soziale und volkswirtschaftliche Probleme. Das Bundesgesundheitsministerium verweist auf repräsentative Studien, wonach hierzulande 1,6 Millionen Menschen alkoholabhängig und schätzungsweise 2,3 Millionen Menschen von Medikamenten abhängig sind. Rund 600 000 Menschen weisen demnach einen problematischen Konsum von Cannabis und anderen illegalen Drogen auf, und gut 500 000 Menschen zeigten ein problematisches oder sogar pathologisches Glücksspielverhalten. Auch eine exzessive Internetnutzung könne zu abhängigem Verhalten führen: Es sei davon auszugehen, dass in Deutschland etwa 560 000 Menschen onlineabhängig sind.
Dass der Landkreis Rotenburg keine suchtfreie Insel ist, zeigen die Zahlen der vier Suchtberatungsstellen in Rotenburg, Bremervörde, Zeven und Visselhövede. Nach Auskunft der Therapiehilfe gGmbH, die diese Aufgabe seit 2017 für den Landkreis wahrnimmt, haben die sechs Mitarbeitenden 2018 insgesamt 453 Menschen beraten und 2019 sogar 514 Personen. Der Vertrag mit dem freien Träger wurde nun um weitere zwei Jahre verlängert. Der Landkreis trägt dafür die Kosten, pro Jahr sind das maximal 156 000 Euro.
Ziel der Suchtberatung sei, so die Leiterin Birgit Flemming, die Wiederherstellung der Gesundheit und der Lebensqualität der Betroffenen, übrigens zu 71 Prozent Männer. „Die Menschen sollen wieder ein Selbstbewusstsein entwickeln, damit sie am gesellschaftlichen und sozialen Leben teilhaben und ihrer Arbeit nachgehen können. Bei uns geht es um Ermutigung“, sagt sie, da sei ein moralischer oder pädagogischer Zeigefinger fehl am Platz. Die Befürchtung, sie könnten vor einer Art Tribunal landen, hindere so manchen am Gang zur Beratungsstelle. „Das ist aber unbegründet“, so Flemming, „nicht unser Ansatz.“
Auch Angehörige melden sich
Die größte Gruppe der Hilfesuchenden sei zwischen 35 und 50 Jahre alt. Die meisten kämen wegen ihrer Alkoholsucht, die zu Problemen in der Familie und am Arbeitsplatz führe, nicht selten auch zu Führerscheinentzug. „Manchmal melden sich auch Angehörige bei uns“, so Flemming, oder auch mal Arbeitgeber, die sich Sorgen machten. „Die Alkoholabhängigkeit baut sich über Jahre auf“, erklärt sie, „und irgendwann ist der Leidensdruck so groß, dass die Menschen bereit sind, sich Hilfe zu holen.“ Das könne schon mal 15 Jahre dauern. In den allermeisten Fällen lägen der Sucht psychische Probleme zugrunde, beispielsweise Depressionen, Angst- oder posttraumatische Belastungsstörungen.
„Die gehen ja nicht weg, wenn die mit dem Trinken aufhören“, sagt Thomas Hempel, ärztlicher Leiter und Geschäftsführer der Therapiehilfe. Sucht und Vorerkrankungen seien miteinander verzahnt, beides müsse behandelt werden. Er sagt auch: „Ich kenne keinen, der alleine durch den Konsum abhängig geworden ist.“ Das gelte auch für Cannabis, Kokain und Co. Und: „Der Rückfall findet im Kopf statt“, betont Hempel. Es sei nicht der Tropfen Alkohol in der Eiskugel, der einen trockenen Alkoholiker wieder zur Flasche treibe, „sondern das, was in dem Menschen psychisch stattfindet“. Vielfach sei „Mischkonsum“ zu beobachten, also Alkohol plus Opiate oder Amphetamine. Sorgen mache ihm auch die Medikamentenabhängigkeit: „Diese Menschen zu erreichen, ist sehr schwierig. Denn die berufen sich meist darauf, dass die Mittel ja vom Arzt verschrieben worden seien.“
Carmen Menzel, die Leiterin des Gesundheitsamtes, ist mit der Zusammenarbeit mit der Therapiehilfe sehr zufrieden. "Wichtig war uns dabei auch eine Verknüpfung mit den vielen Selbsthilfegruppen und dem Arbeitskreis Sucht.“ Hilfe und Beratung sei für Betroffene und auch für Menschen aus deren Umfeld kostenlos. Es gehe dabei um ambulante Nachsorge, psychosozialen Betreuung für Substituierte, Suchtprävention, Suchtakupunktur, Substitution sowie um Beratung bei problematischem Glücksspielverhalten.
Heike von Ostrowski, die zuständige Dezernentin beim Landkreis, betont, dass die Suchtberatung „auch in Zeiten der Corona-Pandemie Wege gefunden hat, die Angebote aufrechtzuerhalten". Einzel-Sprechstunden seien jederzeit möglich gewesen, und auch die Gesprächsgruppen träfen sich wieder.
Die Therapiehilfe ist montags, mittwochs, donnerstags und freitags von 9 bis 13 Uhr und dienstags von 13 bis 17 Uhr unter der Telefonnummer 04261/ 96 28 041 zu erreichen, per E-Mail unter suchtberatung-rotenburg@therapiehilfe.de. Offene Sprechstunden gibt es in Rotenburg, Große Straße 28-30, dienstags von 14 bis 17 Uhr, in Bremervörde, Bahnhofsstraße 15, mittwochs von 14 bis 17 Uhr, in Zeven, City Passage, Poststraße 12, montags von 14 bis 17 Uhr sowie in Visselhövede, Bahnhofstraße 31, mittwochs von 15 bis 17 Uhr.
July 09, 2020 at 03:00PM
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Suchtberatung hat gut zu tun - WESER-KURIER
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gut
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