
Olympique Lyon ist kein lustiger Außenseiter, dem in Frankreich die Herzen zufliegen. Wenn Lyon spielt, dann sehen viele französische Fußballfans noch immer den Klub, der Anfang der 2000er-Jahre die Ligue 1 dominiert hat. Den Klub, der der Konkurrenz die besten Spieler abkaufte, der als arrogant galt. Und: So will der Verein noch heute sein.
Dieses Image hängt eng mit Klubchef Jean-Michel Aulas zusammen, einem reichen Geschäftsmann, der gute Kontakte zu Sponsoren hat und gern polarisiert. Auch er will kein Außenseiter sein. "In fünf Jahren wollen wir wieder dort sein, wo Bayern München steht", sagte Aulas 2016. Wenn man so will, hat das Team nun geliefert.
Denn schon jetzt, ein Jahr früher, steht Olympique zumindest in der Champions League dort, wo auch Bayern München steht: in der Runde der letzten vier Teams. Aber spätestens am Abend, wenn es um den Einzug ins Finale geht (21 Uhr, Liveticker SPIEGEL.de; TV: Sky), sind die Rollen klar verteilt.
Der FC Bayern hat Weltstars wie Robert Lewandowski und Thiago in seinen Reihen, Manuel Neuer und David Alaba. Lyon hat Memphis Depay, 26, und Houssem Aouar, 22 Jahre. Doch auch ihn kennt man eigentlich erst seit wenigen Tagen, als er mit zwei Torvorlagen beim 3:1-Erfolg über Manchester City der überragende Spieler war. Aouar wurde in Lyon geboren und bei Olympique ausgebildet. Wenn es für den Klub gut läuft, dann verkauft er Aouar einmal für viel Geld. Bayern München kann seine stärksten Spieler meist halten, Lyon muss sie dagegen meist verkaufen.
PSG hat alles verändert
Bei Lyon ist es zwar bis heute so, dass man entweder Fan von diesem Klub ist - oder eben ganz und gar nicht. Aber das dominierende Team der Liga, das ist Olympique längst nicht mehr. Auch nicht der reichste Klub. Die letzte Meisterschaft ist zwölf Jahre her, zuletzt war Lyon gar nur Siebter der Ligue 1, als diese wegen der Pandemie abgebrochen wurde. Bayern München trifft auf einen Gegner, der im vergangenen Jahrzehnt einen mächtigen Konkurrenten bekommen hat - Paris Saint-Germain, das mithilfe der Millionen aus Katar die Macht in der Ligue 1 übernommen hat und nun im Champions-League-Finale steht. So einen nationalen Gegner haben die Münchner nicht.
Aber Lyon wehrt sich nach Kräften. Der mächtige Aulas kämpft an vorderster Front, er poltert los, wenn er seinen Verein in Gefahr sieht. Abteilung Attacke, aber auf französisch: Département d'attaque. Als die Saison vorzeitig abgebrochen wurde, kritisierte er das am schärfsten - Lyon hatte noch auf die Rückkehr in die Champions-League-Ränge gehofft.
Der Klub investiert zwar noch immer in Spieler der Konkurrenz, doch ins oberste Regal kann er nicht mehr greifen - die Topstars der Liga zieht es ins Ausland (zum Beispiel Thomas Lemar von Monaco zu Atlético) oder zu PSG (Kylian Mbappé). So ist vor allem der eigene Nachwuchs - der schon immer in der Klubhistorie wichtig war, aber jetzt noch mehr -, die Grundlage des sportlichen und wirtschaftlichen Erfolgs.
Talente werden selbst ausgebildet (Karim Benzema) oder weiterentwickelt (Michael Essien) und später oft teuer verkauft (Benzema und Essien). In den Dominanz-Jahren konnte der Klub auch manche Eigengewächse halten: Sidney Govou, einst Bayern-Schreck von 2001, wurde damals in Lyon ausgebildet, war jahrelang der Star des Teams, gewann sieben Meistertitel. Er blieb bis zu seinem sportlichen Zenit.
Aulas betont zwar noch heute stets, man werde "alles tun", um die Stars aus den eigenen Reihen zu halten - aber wohl eher um den Preis hochzutreiben. Bei Alexandre Lacazette tat er das - und der ging dann für 53 Millionen Euro Ablöse zu Arsenal. Ähnlich war es bei Corentin Tolisso. 2017 verließ der Mittelfeldspieler seinen Jugendklub Lyon, bei 41,50 Millionen Euro lag seine Ablöse. Am Abend wird er bei Bayern München auf der Bank Platz nehmen.
Lyon ist heute einfach stärker auf Einnahmen aus Spielerverkäufen angewiesen, so bleibt man wettbewerbsfähig - und laut "Deloitte Football Money League" ist Olympique der 17. umsatzstärkste Klub Europas (220 Millionen Euro) und die zweite Kraft Frankreichs. Allerdings ist der Rückstand auf PSG (636 Millionen Euro) enorm. Der deutliche Abstand zeigt, warum Lyon in der nationalen Liga über 38 Spieltage chancenlos gegen Paris ist. So absurd es klingt: Mal in ein Champions-League-Halbfinale zu rutschen, das ist für den Top-20-Klub aus Europa wohl wahrscheinlicher als die Meisterschaft. In diesem Jahr gilt das besonders, da seit dem Viertelfinale direkte K.o.-Duelle über das Weiterkommen entscheiden.
Beckenbauers Wutrede
Von einem 3:0-Erfolg gegen die Münchner wie einst im März 2001 (Franz Beckenbauer damals: "Das war heute eine Blamage [...] Das ist Uwe-Seeler-Traditionsmannschaft, Altherrenfußball") aber ist Lyon weit entfernt. Der wird eher den Frauen von Olympique gegen Bayern München gelingen, die im Viertelfinale am Samstag beim Re-Start der Champions League aufeinandertreffen werden. Hier tritt Lyon mit einer Weltauswahl an, die Münchnerinnen mit einem spannenden Team, das noch Zeit braucht. Umgekehrte Verhältnisse.
Bei den Männern hat Lyon das junge Team, mit seinem Passgeber Aouar spielt es zwar auch mutigen Fußball. Als City im Viertelfinale durch Kevin de Bruyne zum 1:1 ausglich (69. Minute), da versuchte sich der Außenseiter nicht in die Verlängerung zu retten - da brachte Trainer Rudi Garcia mit Moussa Dembelé einen frischen Stürmer. Und der traf dann doppelt.
Aber Bayern München ist derzeit ein nahezu perfektes Team, 8:2 gegen Barcelona, 4:1 gegen Chelsea, 27 Siege aus den vergangenen 28 Spielen, Pokalsieger, Meister. Da bleiben wenig Zweifel offen. Lyon ist ein stolzer Klub, er hat immer weiter ausgebildet, immer mutig gespielt, in Lyon sind sie die Immer-Weiter-Macher. Aber gegen Bayern wird er schon eine magische Nacht benötigen.
Und anschließend werden sie in Lyon weitere gute Tage und Entscheidungen benötigen, neue Spieler ins Team einbauen müssen, um wieder in ein Halbfinale vorzudringen. Bei Memphis Depay zeichnet sich bereits ab, dass er den Verein verlassen könnte. Aulas sagte jüngst: "Wir werden alles tun, um seinen Vertrag zu verlängern."
August 19, 2020 at 07:20PM
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Bayern-Gegner Olympique Lyon: Sie wollen kein Außenseiter sein - DER SPIEGEL
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gut
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